Corona und Cranio

Corona Cranio Sacraltherapie
Covid-Klient, erschöpft und hoffnungslos: Aktivierung der Selbstheilungskräfte durch innere und äussere Berührung. Foto: Franky Syggy

«Ich kann nicht mehr. Jeder Atemzug ist extrem anstrengend und länger als ich Kraft dazu habe. Wann hört das auf? Nie.» Ich hörte in diesen drei Jahren mehrere ähnliche Aussagen von Klienten mit Postcovid-, Longcovid- und Impfsymptomen. Und habe erlebt, wie alle nach einer Behandlung oder spätestens nach acht Wochen Begleitung die Covid-Symptome überwinden konnten. 

Die Covid-Klienten kamen nach äusserst anstrengenden Wochen in die Praxis. Ihre Beschwerden waren unterschiedlich, die Stimmung ähnlich: Sie waren erschöpft und hoffnungslos. Auf der Liege erlebten sie wieder Leichtigkeit, Kraft und Lebenswille. Mit dieser Erfahrung gingen sie nach Hause. Manchmal erhielt ich ein paar Stunden später einen Anruf: «Das lebendig Sein ist vorbei. Alles ist wie vorher. Schwer. Ich kann nicht mehr.» Dann legten wir die Termine enger. Manchmal kamen Klienten alle vier Tage für eine Stunde ins Cranio. Und mit jedem Erleben ihrer wieder erwachenden Lebendigkeit hielt sich der Zustand länger. Bis jede und jeder in sich stabil blieb und sie ihr Leben wieder wünschenswert gestalten und leben konnten.

Selbstregulation und dynamische Stille

«Was ist Cranio und was machst du?» wurde ich gefragt. In der craniosacralen Berührung entspannen sich Nervensystem, Faszien und Muskulatur. In diesem entspannten Zustand zirkuliert beispielsweise die Hirnflüssigkeit besser. Damit verstärkt sich die Versorgung des Gehirns. Ebenso werden die Nerven und alle Zellen im gesamten Körper ernährt, Lymph- und Blutzirkulation werden angeregt. In der Craniosprache sagt man, dass die Selbstheilungskräfte jetzt wirken. Dies gelingt unter anderem mit einem einfachen Trick: Indem die Therapeutin sich im Kontakt mit der Klientin ständig selbst reguliert, gelingt es auch der Klientin sich selbst zu beruhigen. Und indem die Therapeutin in sich Raum schafft für den gegenwärtigen Moment, für Gesundheit und Lebendigkeit, kommt die Klientin in Berührung mit der eigenen ursprünglichen Gesundheit. 

Auch wenn Selbstregulation nach nicht viel klingt, ist es doch gerade dieser Anteil, der Aussergewöhnliches ermöglicht, der die Craniosacral Therapie ausmacht. Dieser Anteil von gleichzeitiger Stille und Lebendigkeit löst Stress auf. Es ist eine dynamische Stille. Aktuelle und alte Überforderungen finden Anschluss an die im gegenwärtigen Moment tatsächlich zur Verfügung stehende Lebenskraft. Neue Ordnung wird geschaffen. Von innen und nachhaltig entsteht eine stimmige Integration des Erlebten. Angst und Schmerz verursachende Muster lösen sich auf. 

«Ist Cranio wie Meditation zu zweit?» Ja. Und die craniosacrale Berührung ist physisch und vermittelt dem Nervensystem Sicherheit. Damit ebnet die Berührung den Weg zu einem Raum in sich selbst, der alleine schwer zugänglich ist. Der Klient wird eingeladen in Dynamiken hineinzugehen, die die Therapeutin durch absichtsloses Zuhören mitentdeckt. Das setzt voraus, dass die Therapeutin mit diesen Zuständen befreundet ist. Dass sie nichts will. Dass sie nicht mit therapeutischen Absichten einen Weg vorbahnt, der vielleicht eher ihr eigener wäre als der Weg ihrer Klientin. Gesundheit wird immer aus der Klientin heraus gefunden. 

Ein weiterer Anteil der Therapie ist technischer Art und bekannt aus der Osteopathie. Es geht um die Arbeit mit den Körperstrukturen. Allen voran mit den Kommunikationssystemen des Körpers, das heisst mit den Faszien, dem Nerven-, Kreislauf- und Atmungssystem. Aber auch mit Knochen, Muskeln, Knorpeln, Bändern, Sehnen. Wir berühren Organe und schwingen mit verschiedenen Rhythmen. Manchmal flüstert uns das Zellgedächtnis gespeicherte Geschichten zu. 

Bei Covid Symptomen ist zentral, die Atmungsmuskeln zu entspannen, die Faszienketten durchgängig zu machen und Herz, Lunge und Hirn Raum zu geben für ihre Eigenbewegungen. Das ist der strukturelle Ansatz des Cranio. Ich bin froh darüber, dass ich sowohl diesen aktiven Teil als auch die dynamische Stille in der Praxis zur Verfügung habe. 

Cranio Sakral Zellgedächtnis
Manuelles Verfahren Craniosacral Therapie: Manchmal flüstert das Zellgedächtnis. Foto: Johannes Kirchherr

Zündungen

Bei jedem Atemzug gibt es einen Funken im dritten Ventrikel des Gehirns, der den Körper an die ursprüngliche Kraft, die das Leben initiiert und gestaltet, anbindet. In Bezug auf Covid sind diese Zündungen zentral. Bei chronischen und schweren Symptomen schenke ich diesem kurzen Aufleuchten Aufmerksamkeit. Manchmal zeigen sich bei diesem Fokus Körpererinnerungen an die Geburt, Embryozeit oder Zeugung. Nach solchen Momenten sind die Klienten tiefer und selbstverständlicher mit ihrer Lebenskraft verbunden. 

Früchte ernten

Im Zug nach Schwarzenburg besprachen Gymnasiasten lautstark den neuen Virus und die Schliessung der Schulen. «Meine Grossmutter wird wahrscheinlich an ihm sterben», sagte der Blonde. Als die anderen ihn anschauten, fügte er an: «Sie ist alt und ihr Körper ist schwach. Aber sie hat gut und lange gelebt.» Die drei schwiegen, bevor sie sich den Möglichkeiten zuwandten, die diese Situation ihnen eröffnete: Zeit für sich und unerwartete Freiheit. Diese 15-Jährigen haben zu Beginn des ersten Lockdowns ein zentrales Thema von Corona angesprochen: Leben und Tod. Innerlich fragte ich den Blonden: «Und was ist mit euch, habt ihr gelebt, geliebt, könnt ihr jetzt sterben?» Sterbe ich? Kann ich jetzt loslassen? Und was denn alles loslassen, Vorstellungen, alles Gewohnte, Erwartungen? Ja. Den Körper? Mhm. Die Perspektiven meiner Kinder? Neiiin. 

Stimmen flimmerten durch den Zug. Aufbruchstimmung. Doch aus dem Hintergrund zwängte sich eine Urangst in mein Bewusstsein: Angst vor Veränderung, vor Abschied und Schmerz. Und gleichzeitig: Freude am Ungewissen. Und ebenso spürbar brüllte der Widerstand gegen Kontrollverlust auf.

Stille

Als Geschenk für das Ja zum Kontrollverlust und zum Leben mit sich so wunderbar ausweitender Orientierungslosigkeit gab es die Stille. Wunderbar pulsierende Stille. Mitten im Durcheinander der Spekulationen und Orientierungsversuche – ein Ankommen. Ankommen dort, wo ich schon war und es nur nicht wahrnehmen konnte oder wollte: in der Präsenz. In der Einfachheit des Moments. Im Fühlen. Im Staunen: Es ist ganz einfach bei mir zu sein, ganz natürlich und einfach zu fühlen. Nicht wissen, nicht spekulieren, nicht abwehren. Sondern sein. Hingabe ans Jetzt. Hingabe ans Leben und ans Sterben. Ein wunderbares, überraschendes Sein. Leben sprudelte durch mich. Jede Zelle flüsterte, knisterte, sang. 

Cranio Sakral Therapie
Suniti Novell: Nicht wissen, nicht spekulieren, nicht abwehren. Sondern sein. Foto: Johann Novell

Gespräch mit dem Alter Ego

AE: Ohne Gewissheiten sein heisst für dich?
Ich verzichte auf mentale Orientierungen. Die für mich spürbare Unsicherheit ist wie eine dritte Tageszeit. Sie hat etwas Radikales. Die radikale Unsicherheit war ja eigentlich immer da. Doch jetzt darf sie sich offiziell ausbreiten. Und sie mobilisiert Vertrauen. 

AE: Wie kommst Du zu dieser Verbindung zwischen Unsicherheit und Vertrauen?
Die Unsicherheit wird wohl für mich erst wirklich spürbar, wenn ich genügend Vertrauen ins Leben habe. Ansonsten decke ich die lauernde Unsicherheit mit esoterischen oder wissenschaftlichen Konzepten zu. 

Dieses Paar ist zusammen aufgetreten: Kontrollverlust-Unsicherheit-Angst und als Partner Mut-Vertrauen-Freude-Lebendigkeit. 

AE: Wie fühlst Du den Zusammenhang zwischen Angst und Vertrauen? Wie kamst Du während des Lockdowns in das Fühlen hinein?
Während der ersten Diskussion mit meinem Mann über das Impfen hörte ich mitten im Satz auf zu sprechen.  Unter meinem Brustbein kribbelte es. Interessiert sah ich mit der Körperwahrnehmung dahin. Was ich da fühlte war viel näher und viel interessanter als das, was ich zu sagen hatte. Es war wie eine Implosion, in mir drin sprudelten Gefühle. Ich fühlte mich. Das Wort Fühlen ist nur ein Wort für diese Wende. Eine Wende, ein Aufwachen, ein Zugang zu etwas, das viel wirklicher war. Ich fühlte mich, meinen Körper, meine fliessenden Gefühle, auch meine Gedanken und Konzepte. Es wäre lächerlich und völlig sinnlos gewesen an etwas festhalten zu wollen. Der Fluss der Intensität. Gleichzeitig war da eine noch nie erlebte Freiheit. In diesem Zustand hat keine Angst Platz. Eigentlich nicht mal Vertrauen. Es ist pures Sein. Jenseits von Begriffen. Ganz einfach. 

Dann fühlte ich mein Gegenüber. In diesem Diskussionsmoment kamen mir heftige Gefühle entgegen. Wie um mich zu retten tauchte ich ins Fühlen ein. Jeder Zustand, den ich auch hier zwischen uns fühlte, war einfach nur wunderbar lebendig. Ich lachte, umarmte ihn. Meinen angefangenen Satz beendete ich nie. Mein Mann und ich hatten nie mehr eine Diskussion über Corona. Der unterschiedliche Umgang damit war so selbstverständlich, wie wir auch eigene Zahnbürsten haben. 

AE: Und in der Folge?
Ich erforschte, erlebte, genoss die selbstverständliche Hingabe an Leben, Freude, Schmerz und Tod. Lachte sehr viel. Machte nur das notwenige. Im Lockdown war das wenig. Homeschooling für unsere Kinder und fünf weitere aus der Nachbarschaft. Hasen streicheln. Spazieren gehen, Nachbarn grüssen. 

Ein einfacher Weg um aus Meinungen und vermeintlichen Sicherheiten wieder ins lebendige Fühlen zu gelangen war, dass ich die Hand aufs Herz legte und da hinein atmete. Wärme, Lebendigkeit und ein Ich-Gefühl wurden zugänglich. Und das pure Glück, zu sein. 

Praxis-Tipp von Suniti Novell

Setz Dich bequem hin und lege eine Hand über Dein Herz. Atme zwischen Hand und Herzbereich hin und her. Lass Dir Zeit. Fühle. Temperatur – Berührungsfläche – den körperlichen Raum – Veränderungen … 
Bleibe so lange bei Dir wie es passt. Mach nichts daraus. Gib dem Erleben keine Begriffe. Gewöhne dich allmählich an Dein pures Sein. 
Gemeinsames Erinnern an das pure Sein: Sonntags 19-20 Uhr in der Praxis herzwärts, CH-3097 Liebefeld BE

Autorin

Suniti Novell
CH-3097 Liebefeld BE
suniti@novell.li
suniti.ch
Praxis herzwärts,
Dynamische Körpertherapie,
Craniosacral Therapie und Coaching.

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