Auf Nahtoderfahrungen (NTE) reagieren viele Menschen mit Unglauben und stellen kritische Fragen. Wie lässt es sich wissenschaftlich erklären, dass sich das Leben nach einem zweiminütigen Herzstillstand grundlegend und nachhaltig verändert? Muss man eine NTE als existentielle Krise betrachten? Eine NTE stellt eine überwältigende Konfrontation mit unbegrenzten Dimensionen unseres Bewusstseins dar. Wenn man selbst keine NTE erlebt hat, macht man sich keine Vorstellung von der Tragweite und den tief greifenden Konsequenzen einer solchen Erfahrung, die das bestehende Weltbild völlig auf den Kopf stellt. Ein Betroffener formulierte es so: »Ich hatte das Gefühl, ich wäre eine andere Person, aber mit der gleichen Identität.« 

Die meisten Menschen sagen, dass sich ihr Blick auf das, was im Leben wirklich zählt, nach ihrer NTE völlig verändert hätte und sie ihre Furcht vor dem Tod verloren hätten: «Auch wenn man körperlich tot ist, kann der Geist noch weiterleben. Nur eines ist wichtig: die eigene Einstellung zu den Menschen. Heute mache ich mir über alles Gedanken. Warum? Alles geht weiter wie vorher und doch hat sich alles verändert. Heute fühle ich mich sehr ruhig und fürchte mich nicht mehr vor dem Tod. Ich nehme das Leben jetzt so, wie es kommt.»

Immer wieder wird die grössere Wertschätzung und Sinnhaftigkeit des Lebens hervorgehoben. Die »Nahtod«-Erfahrung erweist sich als eine »Lebenserkenntnis«-Erfahrung. Oder, wie jemand seinen Einstel­lungswandel treffend beschrieb, als ein «Bewusstwerden-durch-Erfahrung». Man gewinnt die Einsicht, dass jetzt andere Dinge von Bedeutung sind: Akzeptanz und bedingungslose Liebe für sich selbst, andere und die Natur, also eine Akzeptanz, die auch die eigenen Schat­tenseiten einschliesst.
Zudem wird man sich eines universellen Zusammenhangs bewusst: Man erkennt, dass jeder mit allem verbunden ist. Aufgrund dieses Gefühls nennen manche Menschen ihre Erfahrung auch «Einheitserfahrung». …

Wertschätzung des Lebens 

Das Verständnis dessen, was der eigentliche Zweck des Lebens ist, wandelt sich nun vollkommen. Man kann den Moment viel intensiver geniessen und ist besser in der Lage, die Dinge zu relativieren. Man macht sich unabhängiger von den Beschränkungen, die soziale Normen und die Gesellschaft einem auferlegen, und setzt grösseres Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, mit Problemen umzugehen. Man ist offener für Veränderungen und seltener mit der Zeit und Zeitplänen beschäftigt. Die Vorstellung von «Zeit» ist einem fremd geworden. Doch Verabredungen hält man meist gewissenhaft ein. Es fällt einem leicht nichts zu verabsolutieren, man betrachtet alles mit einem offenen Blick, lacht gerne und ist zugleich auch ernster geworden. Die grössere Wertschätzung des Lebens drückt sich auch in einer grösseren Ehrfurcht vor und einer engeren Verbundenheit mit der Natur aus. Man nimmt die Jahreszeiten jetzt viel stärker wahr als vor einer NTE und liebt es, Fenster und Türen offen zu lassen für frische Luft. Man findet eher Genuss an klassischer oder ruhiger Musik und kann Lärm nur schwer ertragen. Man misst persönlichem Status, Geld und mate­riellem Besitz nun einen geringeren Wert bei und distanziert sich von den Wettbewerbsstrukturen unserer heutigen Gesellschaft. …

«Der Tod ist nicht der Tod.» In den meisten Fällen verringert sich durch diese Erfahrung die Furcht vor dem Tod beträchtlich. Man ist stärker von einem persönlichen Weiterleben nach dem Tod überzeugt.

«Ich fürchte mich überhaupt nicht mehr vor dem Tod. Ich betrachte die Erfahrung als ein Geschenk. Ich weiss nun, dass mich nach dem Tod noch etwas erwartet. Dafür bin ich dankbar. Ich glaube, dass ich darüber sprechen sollte, um anderen zu helfen und sie zu beruhigen, wenn sie sich vor dem Tod fürchten. Ich fühle mich privilegiert.» …