Früchte der Corona-Erkrankung
Krankheiten sind nicht besonders beliebt in unserer Menschheitsgeschichte, doch unser Leben würde ohne Krankheit tiefgehender Entwicklungschancen beraubt.
Was oder wer holt uns wirklich in die Besinnung, wenn sie am meisten benötigt wird? Immer seltener der sonntägliche Gottesdienst oder ein überlanges Rotlicht an einer Kreuzung. Unser Leben ist eingetaktet und gnadenlos mit To-do-Listen und Terminplänen befüllt, so dass wir es als normal empfinden, zwei bis drei Leben in Eines zu packen. Eine Entfernung von 30 km zu überwinden, entsprach noch vor 150 Jahren einer Zweitagesreise. Heute erledigen wir das blitzschnell mit dem Auto. Um diesen funktionalen Abläufen zu entfliehen sind Krankheiten fast der einzige Weg, um auszusteigen, da die Menschen viel arbeiten müssen, um ihr Überleben sichern zu können. Wer tut das nicht, zu viel arbeiten? Viel zu arbeiten war auch früher ein Thema. Wohnbehausungen waren eher kleine Schlafstätten als Wohnräume. In China können wir das heute noch sehen, wie Schlafbehausungen von Mietern während der Nacht und tagsüber abwechselnd genutzt werden. Das war in Europa vor 150 Jahren so und es war normal!
Wie bitter die Zeiten auch waren, es gab immer zusätzlich Infektionskrankheiten, die einen oben draufgesetzt haben und sie waren gefürchtet. So auch heute.
Krankheiten in ihrer Zeit
Da gab es die als Lustseuche bezeichnete Syphilis. Sie war besonders schlecht angesehen. Von der Kirche wurde sie als Strafe für die Sündhaftigkeit der Menschen gesehen. Viele Menschen fielen ihr zum Opfer und vielen raubte sie am Ende Gehirn und Verstand. Wurde sie aber überlebt oder vererbt, konnte sie einen wesentlichen Beitrag zu genialen Entwicklungen der Menschheit leisten. Die Früchte von genialem Denken, wie wir sie heute kennen: technische Erfindungen, Autos, Flugzeuge, industrielle Produktionseinheiten, sind mit dem Überwinden der Syphilis untrennbar verbunden. Ja, sie hatte auch brutale Folgen. Zu Beginn konnte sie die Infizierten in zerstörerischste, brutalste Seelenzustände bringen. Heinrich der VIII. zum Beispiel liess all seine Frauen hinrichten, weil sie ihm wegen der Syphilis nur Totgeburten oder nicht lebensfähige Thronfolger gebaren. Nicht eingedenk, dass er den jungfräulichen Damen die Syphilis selbst übertragen hatte. Die erste Phase der Syphilis war die mit den höchsten Todesraten. Später tobte die Syphilis mit langsameren Verläufen, alles wurde langsamer durchgemacht und die Destruktion wurde chronifizierter. Fournier, der berühmteste Syphilidologe, schrieb in Paris Anfang des letzten Jahrhunderts das heute noch gültige Buch über die hereditären Stigmata der Syphilis und siehe da, in der zweiten und dritten Generation waren es dann typische Zahnformen, die wir heute noch oft sehen oder turmschädelartige Kopfformen, typische Venenzeichnungen im Gesicht, Missbildungen von inneren Organen, überzählige Finger, bleibende Milchzähne im Erwachsenengebiss, um nur einen winzigen Bruchteil der Kennzeichen zu erwähnen, die von der Syphilis der Vorfahren erzählen. Und gerade diese Folgegenerationen haben geniale Dinge erfunden, die es in dieser Fülle in Hunderten von Jahren Menschheitsentwicklung nicht gegeben hatte.
In meiner Ausbildung habe ich erfahren, dass 1926 laut Gesundheitsämtern bei den Einwohnern in Berlin die Syphilisdurchseuchung bei 60 Prozent lag. Da sprach man natürlich nicht darüber und auch heute sind die offiziellen Zahlen wieder frappierend hoch, aber werden kaum wahrgenommen.
Die nächste interessante Krankheit in diesem Zusammenhang ist die Tuberkulose. Auch sie forderte, und das bis heute, unzählige Todesopfer, insbesondere in unterernährten Kreisen. Dennoch war es im 19. Jahrhundert mit dem Fortschritt der Hygiene und sättigenden Ernährungsmöglichkeiten in Künstlerkreisen eine Zeit lang sozusagen chic, sich extra mit Tuberkulose zu infizieren. Warum? Weil sie nicht mehr unbedingt tödlich verlief und man inzwischen wusste, dass sie ein unglaublich kreatives Potential hervorbringen konnte. Einen überdurchschnittlich kreativen Nachlass zu hinterlassen, konnte einem Künstler die Unsterblichkeit bescheren. Der Zauberberg von Thomas Mann ist diesem Thema unter anderem eindrücklich gewidmet. Die Tuberkulose brachte dem Überlebenden eine neue Empfindsamkeit, eine künstlerische Sensibilität, die ihresgleichen suchte. Die Tuberkulose ist offiziell die einzige bakterielle Krankheit, die man nie wirklich abschliesst. Die Tuberkulose-Erreger können lebenslang aus ihren verkalkten Knoten wieder ausschwärmen und neues Unheil anrichten, wenn der Organismus entsprechend geschwächt ist.
Friedrich Schiller, Franz Kafka, Wolfgang Borchert, Novalis, Tschechow waren an Tuberkulose erkrankt, um nur einige zu nennen.
Bei aller Verderbnis gab es nach der erzwungenen Auseinandersetzung mit dem drohenden Tod, die bekanntlich zur Besinnung beiträgt, diverse Früchte dieser Erkrankung.
Neue Sorte einer Erkrankung
Wie steht es in dieser Hinsicht mit der Corona-Erkrankung? Perfekt erscheinende Hygienemassnahmen und überwundene Mangelernährung haben in vielen Ländern nicht genügt, um die Ausbreitung zu verhindern. Was war denn das Resonanzprinzip unserer Gesellschaft auf dieses Phänomen? Warum hat dieser Virus uns so kalt erwischt? Die Panik hat einen derartigen Gesellschaftsschock herbeigeführt, dass die Immunitätslage oft nicht in idealer Verfassung gewesen ist. Homöopathisch gesehen kamen zu Beginn der Erkrankung eher Schockmittel wie Aconitum erfolgreich zum Einsatz, um den Erkrankten aus der seelischen und körperlichen Erstarrung zu holen, die das positive Testergebnis oft zur Folge hatte.
Dann kam postwendend die Sorge um die Arbeit, um die mittelfristige Planung des Lebens. Wie lange falle ich aus? Kann das das Ende der Arbeitsfähigkeit bedeuten? Droht bei entsprechenden Vorerkrankungen sogar der Tod?
Ein weltweit häufig erfolgreich verabreichtes Erstheilmittel war Bryonia alba, ein Mittel unter anderem für die Folgen von Überarbeitung.
Es wurde berichtet, dass die meisten Menschen in eine ungeahnte Besinnung kamen, ob erkrankt oder nicht erkrankt. Die Sinnfrage rückte wieder in den Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit geistigen Hintergründen unseres Seins und mit metaphysischen Fragen nahm schlagartig zu. Und das betraf vor allem auch die Nicht-Erkrankten, obwohl oder gerade weil der Virus sich so destruktiv zeigte. Es war ein Stop-Point, den wir so in unserem Alltagsgewusel auf keine andere Weise hätten erreichen können und schon gar nicht gesellschaftlich synchron. Wenn die Narrative stimmen, war die Aufgabe dieser bio-chemischen Waffe wohl Destruktion.
Und so konnte man den ersten Schock auch nicht umgehen, wenn es einen getroffen hatte: Werde ich auch zerstört oder überlebe ich? Gebe ich mich gleich geschlagen oder suche ich noch irgendwo Hilfe?
Ging es den Therapeuten nicht genauso? Eine erste Erstarrung durch die Beschreibung einer neuen Sorte einer Erkrankung, für die angeblich kein Kraut gewachsen sein kann, weil sie künstlich ist. Bewährte Indikationen gab es noch nicht oder sie wurden schnell aus dem Boden gestampft, mit heisser Nadel gestrickt, obwohl es noch gar keine wirklichen Erfahrungen gab. Obwohl wir wissen, dass Unterdrückung auch mit sogenannten Naturheilmitteln passieren kann: Symptom weg – Patient nicht in nachhaltiger Balance.
Schockmodus
Worum geht’s denn überhaupt in dieser Transformation? Gibt es überhaupt eine? Die Reaktionen auf die Ansteckung waren sehr individuell und dennoch gab es Gesetzmässigkeiten: Die Kälte zum Beispiel, von der Viele berichteten, diese unfassbare Kälte, ein Frieren der elementarsten Art. Ruhelosigkeit bei absoluter Schwäche. Kopfstiche bis Kopfschmerzen. Halsschmerzen, die auch irgendwie keine waren. Deprimiertheit, Sinnlosigkeitsgedanken, heimliche Wut, Gefühl des Verlassenseins, wahrgenommene sinnlose Aggressionsschübe, ein unglaubliches Gefühl der Überforderung. Alles Zustände, die wir durchaus auch innerhalb unserer zeitgenössischen Lebenszusammenhängen kennen, aber wenig miteinander reflektieren.
Bei einzelnen Infektionen wurde kein eindeutiges Symptom hervorgebracht und eine Anteilnahmslosigkeit am ganzen Geschehen kam vor.
Eine Erkrankung, die in der Therapie auch die Schulmedizin überforderte und so bei Vielen zu Ängsten führte, überhaupt ein Krankenhaus anzusteuern, um unter Umständen zum ungewollten Versuchskaninchen zu werden. Das alles ist ein neues Seinsgefühl mit einer Infektionskrankheit, das fast an Urzeiten erinnert: Das Stammhirn hat die Führung übernommen. Überlebensmodus. Keine Möglichkeit mit Mittel- oder Zwischenhirn differenzierte Überlegungen anzustellen. Eine Gesellschaft im Schockmodus.
Krankheitswesen
Ich persönlich habe es so erlebt: Wenn ich mich auch abgeklärt wähnte und mir meine Einstellungen sorgsam erarbeitet hatte: Als die ersten Herz- und Lungenstiche beim Atmen auftauchten, wurde es für einen Moment reichlich kleinlaut in mir. Oh weh, vielleicht geht es doch schlimm aus?
Aber ich war nicht alleine, mein Mann war ebenfalls erkrankt und so waren wir im stetigen gegenseitigen Austausch über was sich beobachten liess und wie wir es einordnen konnten. Das war sehr hilfreich. Stück für Stück erkannten wir für uns die Natur der Sache. Ich bemerkte, wie meine Sehnsucht nach schönen Dingen wuchs. Musik, schöne Bilder, Farbenspiele, langes, halbschlafgetragenes Blicken in den Baum vor dem Schlafzimmer, ein Sich-Erfreuen am Windspiel der Blätter und vieles mehr. Dann nahmen wir wahr, dass wir uns streckenweise sehr heftig über Nonsens stritten und am Ende nicht verstanden warum. Es war eine latente Aggression da, die manchmal über Gebühr ausbrach und verdammt rechthaberisch war. Abgelöst von eher deprimierenden Verzweiflungsstimmungen. Mein Mann war bereits im Analysemodus und kam eines morgens mit der hilfreichen Erkenntnis, dass jede Krankheit ja ein Krankheitswesen habe. In diesem Fall ein möglicherweise vom Menschen gemachtes. Und mit jedem Wesen könne man sprechen, sich mit ihm auseinandersetzen. Wenn dieses Wesen auf Destruktion gepolt sei, könnten wir ihm doch etwas entgegensetzen und es gleichsam über menschliche Ästhetik belehren. Dadurch entstünde die Möglichkeit, das Krankheitswesen mit den Grundfragen des Menschseins bekannt zu machen und ihm eine Ahnung davon zu vermitteln, welche Werte es, bisher mangels besseren Wissens, einfach nur zerstören sollte. Neben dem Schönen geht es natürlich auch um das Gute und das Wahre und das Ringen des Menschen darum, dies miteinander in Freiheit zu entfalten. Wir stellen der destruktiven Prägung eine andere schöne, aufbauende Prägung an die Seite! In diesem Fall kann die Dualität wieder vervollständigt werden, so dass ein vollständiges, gleichsam natürliches Krankheitswesen entsteht. Dieses kann eine Transformations-Chance für den Erkrankten beinhalten. So kann es für dieses Krankheitsphänomen wieder zum Ausgleich zwischen Abbau (Destruktion) und Aufbau (humane Ästhetik) kommen. Unsere Geistigkeit ist eine Kraft, aus der wir in jedem Gesundungsprozess schöpfen, nur manchmal vergessen wir unser Zentrum und fliegen wie ein verirrtes Vögelchen durch den geschlossenen Raum und finden den Ausgang nicht. Knüpfen wir wie jeder Kämpfer, in allen Kampfkunstkulturen, an unser eigenstes Zentrum an, dann kommen wir wieder in unsere Kraft und zu unserem Ursprung zurück.
Erweiterung des Fokus
So beobachteten wir, dass wenn wir Klavier spielten, zum Beispiel etwas von Johann Sebastian Bach, den wir sehr lieben und wir uns mit schönen Gedichten, Gedanken und Bildern innig beschäftigten, die Symptome deutlich schwächer wurden. Auch das Direkt-ins-Gespräch-Gehen mit diesem Krankheitswesen veränderte etwas. Homöopathika taten ihr Übriges.
Kurzum, wir bemerkten, dass wir durch diese Erkrankung darauf aufmerksam wurden, wie wenig Zeit wir in unserem Alltag für das Schöne vorgesehen hatten. Am Ende blieb kaum Zeit für das, was den Menschen ausmacht: Die menschliche Kultur zu erleben, das wirklich Schöne, das Menschen hervorbringen können, wahrzunehmen oder selbst herzustellen; statt sich immer wieder vor Augen zu führen, was Menschen global, regional und im persönlichen Raum alles zerstören.
Es war wie eine Befreiung aus dem zu engen Fokus auf die Destruktion, der durch die Corona-Panik auf die Spitze getrieben worden war und inzwischen durch neue Destruktionsberichte von der ukrainischen Kriegsfront abgelöst wurde.
Wie ist blühen und fruchten in destruktiven Zeiten möglich? könnte ich das Thema dieser Transformation überschriften. Diese ist mit dem Ende der Symptomphase längst nicht erledigt. Immer wieder, zieht uns dieses Coronamännchen innerlich am Arm und erinnert uns durch das eine oder andere wiederkehrende Symptömchen an das, was es zu integrieren gilt: Leben mit den kulturellen Errungenschaften des Menschen und nicht neben ihnen. So wurde bei der Corona-Erkrankung die Erkenntnis der Resonanz zwischen den äusseren und den inneren Veränderungen der Schlüssel für die Transformation, an der wir sicher noch lange integrierend arbeiten werden.
Literaturangaben
Ernst Bäumler Amors vergifteter Pfeil, Kulturgeschichte einer verschwiegenen Krankheit, Edition Wötzel, 1997, 402 Seiten
Thomas Mann Der Zauberberg, Roman, S. Fischer Verlag 2010, 7. Auflage, 1008 Seiten,
Alfred Fournier Hereditäre Syphilis, Die hereditären Stigmata der Syphilis, Verlag von Theodor Steinkopff, 1910
Undine Arzt Syphilis, pdf-Präsentation, Überblick
Bei miasmenlehre.de gibt es eine kurze Zusammenfassung der syphilitischen Stigmata
Autorin
Hendrikje Arzt
D-10717 Berlin
wanta2@hotmail.de
undinenhof.de
freieshomoeopathiekolleg.de
Heilpraktikerin, Praxis für Klassische Homöopathie und Körperpsychotherapie
Somatic Experiencing®-Practitionerin, Zertifizierte Bodynamic®-Therapeutin
Ganzen Artikel lesen für FR 4.-
Dieser Artikel ist kostenpflichtig.Sie können den Artikel hier kaufen oder ein Jahresabo bei uns bestellen.
Sie müssen angemeldet sein um einen Kommentar zu schreiben.
Anmelden