Ein Flug mit dem Pilatusdrachen

Wenn das Thema Drachenlinien im Zentrum der vorliegenden Zeitschrift steht, soll der Hausberg von Luzern, der Drachenberg Pilatus erwähnt werden. Es wird in Sagen berichtet, dass die Drachen wie brennende Balken zwischen Pilatus und Rigi hin- und hergeflogen seien.
Ich wohne seit über 30 Jahren in der Gegend des historischen Städtchens Sursee und entdecke nach und nach die besondere Verbindung von Pilatus, Rigi und Sursee. Viele Beobachtungen und farbige Sonnenaufgänge waren nötig, bis das Puzzle um den alten Landschaftskalender und den Jahreskreisfesten erkennbar wurde. Die Landschaft und insbesondere die Berge Rigi und Pilatus sind in Analogie zu einer Taschenuhr wie ein Zifferblatt und die Sonne und der Mond wie die Zeiger der Landschaftsuhr. Einige Stationen zu speziellen Orten mit besonderen Geschichten sollen die Bedeutung der Landschaft um Luzern verdeutlichen und in Erinnerung rufen.

Foto: Bruno Gsteiger
Sonnenbeobachtungen
Von Sursee aus ist der Blick zu den Alpen durch die vorgelagerten Berge Rigi und Pilatus geprägt. Sie stehen links und rechts von der weiter zurückliegenden Alpenkette. Die Sonnenaufgänge mit Blick Richtung Rigi sind zum Jahresbeginn und im Spätherbst besonders eindrücklich. Zu Beginn ahnte ich noch nicht, dass die alte Jahresteilung mit den Vierteltagen hier besonders gut zu beobachten ist. Mit Blickrichtung von Sursee aus sind der Sonnenverlauf und die Sonnenaufgänge wie folgt zu beobachten:
• Die Sonnenbahn verkürzt sich nach der Sommersonnenwende, berührt am Morgen des 1. Novembers die Rigi und steigt entlang der Bergflanke hoch. Dies bedeutete zu keltischer Zeit das Jahresende und den Start in einen neuen Lebenszyklus. In unserem Kalender entspricht das Allerheiligen.
• Zehn Tage später geht die Sonne über der rechten Bergseite der Rigi auf. Dort wo Rigi-Kaltbad und der Drei-Schwestern-Brunnen liegen. Dies ist am 11.11. der Fall und ist heute noch ein wichtiges Datum für verschiedene alte Bräuche und Handlungen – Martinstag.
• Bis zur Wintersonnenwende sind es von Martini genau 40 Tage und von Weihnachten wiederum 40 Tage bis zu Mariä Lichtmess am 2. Februar. Die Daten am 11.11. und 2.2. markieren denselben Sonnenstand und Sonnenaufgangspunkt.
• Die markanten Sonnenbeobachtungen zur Tag- und Nachtgleiche und zur Wintersonnenwende sind vor allem in Luzern von der Hofkirche aus zu beobachten.
Es ist auffällig, dass viele megalithische Steinreihen oder andere Kalenderberge ebenfalls auf die Sonnenrichtung des 11. Novembers ausgerichtet sind. Es ist ein urtümliches Muster, welches über Jahrtausende beibehalten wurde. Sagen, Brauchtum oder auffällige Bauwerke zeugen noch von alten Kalenderbräuchen, welche im Verborgenen weiterleben.

Foto: Landestopografie
Grafik: Bruno Gsteiger
Stadtgründung Sursee mit Bezug zum alten Kalendersystem
Als Raumplaner untersuchte ich bei Planungsaufgaben oft die Siedlungsentwicklung eines Ortes und hoffte zum Beispiel auf Zusammenhänge der historischen Anlagen. In Sursee war zuerst kein herkömmlicher Stadtaufbau und keine übliche Geometrie zu erkennen. Das Städtchen Sursee mit einer atypischen Stadtanlage konnte erst mit der Sonnenausrichtung und dem Lichtmesssystem zur Rigi und den Vierteltagen ergründet werden. In Sursee ist auffällig, dass der Stadtgrundriss und die Stadttore einen Bezug zu den beiden Kalenderbergen Rigi und Pilatus und den Sonnendaten der Vierteltage haben. Die Verbindungslinie zwischen Untertor/Baslertor und Obertor/Luzernertor weist am 11. November zum Sonnenaufgang zur Rigi. Die Vierteltage, anfangs Februar, Mai, August und November, sind wie eine Ur-Astrologie, jedoch nicht für Individuen, sondern für Gruppen, Stämme und Kulturen. Zu diesen Festzeiten versammelten sie sich, wohnten Ritualen bei und Feste wurden gefeiert. Dies war prägend für den Zusammenhalt, um damit ein gemeinsames Bewusstsein und Kulturverständnis aufrechtzuerhalten. Der Martinstag galt noch lange als Zinstag oder als Ende und Wechsel der Pacht, Wechsel von Knechten und Mägden oder als Beginn der Fasnacht mit der Karnevalssession. Zum Brauchtum gehört auch die Gans, die in Sursee mit dem Gansabhauet, einem Schläger mit Sonnenmaske und stumpfen Säbel, am passenden Datum wieder durchgeführt wird.
Stationen des Drachenflugs, Rigi-Kaltbad als heilende Mitte
In der Innerschweizer Landschaft stehen die Rigi und der Pilatus zueinander wie ein vertrautes Ehepaar. Die Rigi als weibliche und der Pilatus als männliche Landschaftsform. Für viele Personen besitzen die beiden Berge eine besondere Anziehung und bei vielen schwingt eine innere Verbindung zur einen oder anderen archetypischen Berggestalt mit. Touristen und insbesondere Chinesen sehen in den beiden Bergen die Landschaftsform des Tigers – Rigi/Yin und des Drachens – Pilatus/Yang. Im Mittelalter wurde die Rigi als Mittelpunkt der damaligen Eidgenossenschaft betrachtet, denn alle alten Orte sind um die weitläufig gegliederte Rigi verteilt (Dreiphasige Göttin). Mit einer in symbolischer Form gezeichneten, historischen Karte wurde dieser Zusammenhalt veranschaulicht, der Mythos gestärkt und die Landschaftsgöttin bewusst oder unbewusst verehrt. Dazu gibt es eine Sage, die erzählt, dass drei fromme Schwestern vor gewalttätigen Vögten in die Höhen der Rigi flohen. Hier in Nagelfluhblöcken waren sie verborgen, leisteten viele gute Dienste und halfen bei Krankheiten. Als die letzte Schwester starb, entsprang dort aus einer Felsspalte eine Quelle mit kaltem, heilendem Wasser. Es begannen zahlreiche Wallfahrten nach Rigi Kaltbad, oft mit Badekuren verbunden. Zwischen den Nagelfluhfelsen bei der kalten Quelle wurde für die Wallfahrt eine Kapelle erbaut und dem Patron St. Michael gewidmet. Im Altarraum steht mit einer christlichen Vertreterin der alten Landschaftsgöttin die Muttergottes mit Kind. Heute wird das kalte Quellwasser erwärmt und als Mineralwasser in der vom Architekten Mario Botta erbauten, modernen Therme SPA Rigi Kaltbad verwendet.

Foto: Bruno Gsteiger

Foto: Bruno Gsteiger
Lichterscheinung bei der Hofkirche
Vor ein paar Jahren wurden in Luzern archäologische Funde geborgen, welche erstmals nachweisen, dass Luzern nicht erst seit dem Mittelalter besiedelt wurde. Diese Fundstelle liegt mitten im Seebecken in fünf Meter Wassertiefe. Sie belegt, dass dort etwa 1000 Jahre vor Christus eine bron-zezeitliche Pfahlbausiedlung existierte. Mit den Voruntersuchungen zum Durchgangsbahnhof wurden kürzlich noch ältere Siedlungsspuren entdeckt und auf rund 3400 Jahre vor Christus datiert. Die Lage der Fundstelle ist noch interessanter und befindet sich zwischen Bahnhof und Altstadt in der Nähe der Seebrücke, genau beim Übergang vom Seebecken zum Seeabfluss der Reuss. Die Entdeckungen belegen, dass der Seewasserspiegel in den früheren Jahrtausenden deutlich schwankte und tiefer lag als heute. Die neueren Funde bedeuten, dass es vor 5400 Jahren eine jungsteinzeitliche Besiedlung im Gebiet der heutigen Stadt Luzern gab. Welche waren die heiligen Landschaftspunkte und gab es kultische Plätze in der Gegend? Radiästheten vermuten, dass bei der Hofkirche ein oder zwei Steinkreise und Menhire gestanden haben könnten. Mit einer leicht gestaffelten und versetzten Anordnung solcher Steinkreise könnten insbesondere die Wintersonnenwende und weitere astronomische Deutungen beobachtet worden sein. Das Gebiet der Hofkirche war seit jeher eine Besonderheit und ist mit einer Sage als Lichterscheinung verbunden. Vor der Stadtgründung der mittelalterlichen Altstadt Luzern stand auf dem Felssporn im Gebiet der heutigen Hofkirche, an der Stelle der Lichterscheinung, eine frühchristliche Kapelle, welche später zu einem Kloster und danach in eine Stiftkirche umgewandelt wurde. Diese war nicht die Stadtkirche von Luzern, sondern abseits der Altstadt der geistige, heilige Mittelpunkt.

Foto: Bruno Gsteiger
Wintersonnenwende von Luzern
Von der Hofkirche betrachtet, verschwindet die Sonne am kürzesten Tag zur Wintersonnenwende bei der hinteren Pilatuskette exakt beim Mittaggüpfi. Das Mittaggüpfi wirkt von hier betrachtet wie ein vorstehender Drachenzahn oder ein gleichseitiges Dreieck. Die Sonne versinkt beim Untergang zuerst beim Berggipfel und scheint kurz darauf beim unteren Ende der Bergflanke nochmals in einer Lücke auf – und erzeugt dabei einen leuchtenden Strahlenkranz. In vielen Kulturkreisen sollen zu diesem Zeitpunkt Lichterfeste gefeiert worden sein. Auf der Sonnenbeobachtungslinie zur Wintersonnenwende liegen neben der Hofkirche noch weitere besondere Orte. Die kürzlich entdeckte Jungsteinzeitsiedlung bei der Seebrücke liegt auf dieser Sonnenwende-Kultachse. Ebenso der bekannte, achteckige Wasserturm, der in der Nähe der prähistorischen Siedlung im Wasser steht. Der Wasserturm wurde vor der Kapellbrücke um 1300 n. Chr. in die Reuss gebaut. Bis heute ist der ursprüngliche Zweck des Turms überraschenderweise historisch nicht belegt. Die Besonderheit, dass der Turm genau auf der Kultlinie und Peilung zur Wintersonnenwende steht, ist mir erst vor wenigen Jahren aufgefallen und könnte eine Erklärung für den ungewohnten Standort in der Reuss sein.
Dreilinden als Herzmitte
Die wahrnehmbare Kraftlinie vom Mittaggüpfi steigt nach der Hofkirche weiter auf den magischen Hügel Dreilinden mit Park und Villa. Von diesem erhöhten Standort aus bietet sich ein atemberaubender Blick auf das Seebecken von Luzern und die umgebenden Berge. Die Kraftlinie wird von Geomanten weder als Ley- noch als Drachenlinie wahrgenommen. Vermutlich ist sie eine Kombination oder Überlagerung verschiedener Phänomene. Es lohnt sich, diese Kultlinie durch Dritte genauer zu untersuchen. Kurz vor dem Park Dreilinden ist die schnurgerade Sichtverbindung hinunter zur Hofkirche via Wasserturm und zum Mittaggüpfi gut zu erkennen. Die nicht allzu breite Kraftlinie wirkt wie eine energetische Schwelle, wenn man darüber geht. Ich vermute, dass die natürlichen Besonderheiten, der Sonnenwende-Kultplatz bei der Hofkirche und der gekonnt geometrisch gebaute Wasserturm, eine solche Symbiose und geomantische Linie hervorrufen.

Foto: Bruno Gsteiger
Tag- und Nachtgleiche: Harmonie und Lebensenergie der Rigi
Der hintere Zugang zum ummauerten Kirchenbezirk der Hofkirche weist genau nach Osten zur Bergflanke von Rigikulm. Zweimal im Jahr, um den 21. März und 23. September, steigt die Sonne am Morgen mit Blick durch das Zinggentor entlang der Rigi-Bergflanke hoch. Durch das Zinggentor verläuft eine eher kurze Drachenlinie.
Die Tag- und Nachtgleiche bewirkt überall eine starke magnetische Wirkung, dann wenn die Sonnenbahn exakt dem Äquator folgt. Erde und Mond sind in dieser Zeit wie ideal angeordnete Magnetspulen eines Elektromotors. In Indien nennt man diese Zeit Plenty of Prana, was als reichliche Lebensenergie verstanden wird. Der bekannte englische Landschaftsmaler William Turner hat bei seinen Besuchen Mitte des 19. Jh. häufig die Rigi in mystischen Lichtstimmungen gemalt. Solche Bilder haben die Queen Viktoria vermutlich dazu angeregt, Luzern zu besuchen und sich auf die Rigi tragen zu lassen. Irgendwann führte dies ganz passend zum Titel Rigi – die Königin der Berge.

Foto: Bruno Gsteiger
Mittaggüpfi/Gnepfstein und das Pilatusseeli
Beim Mittaggüpfi sollen vor mehreren Hunderten von Jahren Runenzeichen auf einem Wackelstein auf dem Gipfel gesehen worden sein. Der Wackelstein führte wohl zum zweiten Bergnamen dem Gnepfstein. Die Runenzeichen als auch der Wackelstein sind heute nicht mehr vorhanden. Der Berg trägt als grosse Ausnahme immer noch zwei Namen, welche beide mit der Wintersonnenwende in Verbindung gebracht werden können. Mittaggüpfi und Mittwinter könnten eine Wortverschiebung oder falsche Deutung darstellen. Der zweite Name Gnepfstein als ursprünglicher Wackelstein wirkt wie ein Schaltstein, der das neue Jahr einschaltet. Wenn am kürzesten Tag die Sonne den Gnepfstein berührt, wird der Lauf der Sonnenbahn umgeschaltet und die Tage werden vorerst nur unmerklich länger. 40 Tage nach Weihnachten bei Mariä Lichtmess am 2. Februar wird die Tageslänge merkbar länger und das Licht wieder intensiver spürbar.
Pilatusseeli
Unterhalb des Mittaggüpfis liegt bei der Oberalp auf rund 1540 m. ü. M. das geheimnisvolle Pilatusseeli. Der Rat von Luzern hat bis ins 16. Jh. den Zugang zum Berg und zum See verboten. Weniger wegen dem Pontius Pilatus, welcher laut einer Sage im See begraben und wegen seinen verursachten Unwettern von einem fahrenden Schüler gebändigt worden sei. Eher war es die Absicht, ein Naturheiligtum oder einen Ritualplatz mit dem Zutrittsverbot zurückzudrängen und die heidnische Nutzung zu unterbinden. Die ganze Bergflanke zwischen Pilatusseeli und Mittaggüpfi wird von Geomanten als ein feinstofflicher, grosser Drache wahrgenommen. Diese Wesenheit ist jedoch nicht als Drachenlinie zu verstehen.

Foto: Bruno Gsteiger
Landschaft als Fundort
Die Jahreskreisfeste dienten kaum als Kalender für die praktische Landwirtschaft oder den Lebensalltag. Eine Kultur und Zivilisation wird unter anderem durch gemeinsame Riten, Glaubensvorstellungen und eine gemeinsame Ausdrucksform wie etwa der Handwerkskunst von Gebrauchs- oder Ritualgegenständen geprägt. Tontöpfe waren wie Modetrends und unterschieden sich von Zeitepoche zu Zeitepoche. Gemeinsame Treffen und Feste zu den Vierteltagen sind bis in die germanisch-keltische Zeit bekannt. Einzelne Daten wurden vom Christentum übernommen.
Die Landschaft kann als Fundort und als Landschaftstempel betrachtet werden. Landschaft ist überall, wir können die alte Sichtweise üben.
Praxis-Tipp von Bruno Gsteiger
Suche Auffälligkeiten und Überraschungen in der Betrachtung der Landschaft, Natur, von Siedlungen und Gebäuden. Abweichungen oder nicht Logisches sind oft ein Schlüssel für neue Entdeckungen.
Autor
Bruno Gsteiger
CH-6208 Oberkirch LU
quadrum@bluemail.ch
Dipl. Raumplaner FH/FSU
Stadtplanung Luzern, Oekozentrum Schattweid, Bau- und Siedlungsökologie, Mitglied Verein Beratungen für das Orts- und Landschaftsbild, Verein Radiästhesie &
Geobiologie Zentralschweiz VRGZ.
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