Gesundheitseinflüsse in Innenräumen

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Hochwertige Innenräume durch alte Bautechnik: Neue Lehmausfachung in altem Riegelwerk mit farblosem Kaseinanstrich. Umbau Scheune zu einem Büro. D-79807 Lottstetten-Balm. Architekt: Christan Kaiser Foto: Stefan Meyer

In den letzten Jahrzehnten gab es in Gebäuden einen Siegeszug der Bauchemie. Viele technisch erzeugte Baustoffe haben sich jedoch als problematisch oder sogar gesundheitsgefährdend für die Bewohner herausgestellt. Zusatzstoffe aus Bauteilen und Anstrichmitteln können zu wesentlichen Raumluftbelastungen führen, wenn die Emissionen in dichten Häusern nicht ausreichend ablüften können. Viele Bauteile in modernen Gebäuden werden etwa mit Formaldehyd, Lösemitteln oder Pestiziden hergestellt. Diese Wohngifte gelangen über die Raumluft in unseren Körper und können zu Erkrankungen führen.

Formaldehyd

Baubiologen versuchen, die Belastungen auf ein erträgliches Mass zu reduzieren, um die Nutzer von Gebäuden in der Summe möglichst wenig zu belasten. Was Belastungstoleranzen anbelangt, sind die baubiologischen Richtlinien strenger als die Richtlinien der Gesetzgeber. 

Beim Formaldehyd sehen die Baubiologen einen Wert ab 50 Mikrogramm pro Kubikmeter µg/m3 Raumluftbelastung als auffällig. Das ist die Riechschwelle. Christian Kaiser: «Sobald das Formaldehyd riechbar wird, ist es problematisch.» Bei 60 µg/m3 fängt der Tränenfluss und die Schleimhautreizung an. Der Grenzwert der Gesundheitsämter im D-A-CH-Bereich liegt jedoch bei 125 µg/m3

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Christian Kaiser, Architekt und Baubiologe: «Wir sprechen von grundlegenden Anforderungen an gesunde Häuser.» Foto: Christine Kühn

Formaldehyd ist hervorragend wasserlöslich. Wenn in einem Raum viel Kondensat anfällt, wird Formaldehyd aus dem Lack, der Dämmung, der Holzfaserplatte und den Klebstoffen gelöst. Bei mangelhaftem Lüften führt das zu einer starken Konzentration in der Raumluft. 

In der Prüfkammer wird beispielsweise die Holzwerkstoffplatte keiner Feuchtigkeit ausgesetzt und daher werden niedrige Werte deklariert.

Der Planer übernimmt eine wichtige Aufgabe, er muss praxisorientiert denken: «Was passiert in der Wohnung mit dem Produkt, das ich gewählt habe?»

Lösemittel

Bei den Lösemittelemissionen spricht die Baubiologie von tolerierbaren Werten in der Raumluft von maximal 300 Mikrogramm pro Kubikmeter µg/m3. Eco, das Schweizer Label für ökologisch-gesundes Bauen der öffentlichen Hand, toleriert bei vier Wochen Auslüftzeit nach Bauarbeiten 1000 µg/m3

Bei den meisten konventionellen Häusern gibt es überhöhte Lösemittelwerte in der Raumluft. Wenn beispielsweise in einem Büro neues Parkett und neue Anstriche eingebracht werden und kurz nach dem letzten Pinselstrich die Möbel aufgestellt werden, atmen die Leute am folgenden Tag 3000–5000 µg/m3 ein. 

Nach fünf, sechs Wochen ist diese Erstemission abgeklungen und der Wert bewegt sich um den Bereich 1000 µg/m3. Kaiser: «Vor 100 Jahren war unvorstellbar, dass jemand, der Geld hatte und sich ein Haus hat bauen lassen, am Tag nach Beendigung des Baus eingezogen wäre. Der hat das Haus von armen Leuten trockenwohnen lassen. Die Herrschaft kam erst nach einem Jahr in das Haus; manchmal haben die fünf Jahre trocken wohnen lassen.» 

Christian Kaiser führt folgendes Gespräch öfters mit Bauherren: «Ihr verschuldet Euch lebenslänglich und kriegt dafür ein tolles Haus. Wenn Ihr diese Finanzlast auf Euch nehmt, sollte auf gute und gesunde Materialien geachtet werden!» Viele Menschen wissen nicht, dass es ungesunde Baustoffe gibt. Diese Vorstellung ist ihnen fremd. Sie gehen auch nicht davon aus, dass in ihren Lebensmitteln Problemstoffe sein können oder dass ihre Kleidung nanosilberbedampft ist. 

Übersicht Wohngifte 

Baugrund: Magnetfeldverzerrungen, Radon, Vibrationen, geologische Störfelder
Baumaterial: Formaldehyd, Biozide, Lösungsmittel, PCB (Polychlorierte Biphenyle)
Innenausbau: Formaldehyd, Lösungsmittel, Feinfasern

Mobiliar: Formaldehyd, Lösungsmittel, Ergonomie
Künstliche Belüftung: Sporen, Bakterien, Schall, Luftionen
Elektrosmog: Felder, Hausstrom, hochfrequente elektromagnetische Strahlung

Pflanzen: Schimmel, Pollen

Aussenluft: CO, Ozon, NOx, SO2, PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe)

Bewohner: Reinigungsmittel

Baubiologie Schimmelpilz
Schimmelpilz in Gebäudeecken: Der Pilz zieht die Feuchte aus der Wärmebrücke im ungedämmten Altbau und der neu hinzugefügten kunststoffhaltigen Dispersionsfarbe.
Foto: Christian Kaiser

Schimmelpilz

. . . ist ein hausgemachtes Problem und entsteht durch mangelhafte Bauphysik, durch unzureichende Verarbeitung der Baumaterialien und durch ungenügendes Lüften. 

Die Oberflächenabschlüsse spielen hier eine wichtige Rolle. Bei den Farbanstrichen teilt sich die Welt: in die mineralische Technologie und die petrochemische Technologie. Durch das Erdöl – die Petrochemie – wird der Schimmelpilz ins Haus geholt. Ganz oft entsteht der Schimmel erst durch diese synthetischen Anstriche, die dem Schimmelpilz als Nahrung dienen. Dagegen sind die mineralischen Farbbeschichtungen alkalisch und bieten keine Nährstoffe.

Radon 

Durch die Verschärfung der Strahlenschutzverordnungen erhält das Edelgas Radon wieder mehr Beachtung. In der Schweiz sind die Grenzwerte der Radonbelastung von 1000 Becquerel pro Kubikmeter Bq/m3 auf 300 Bq/m3 herabgesetzt worden. Dadurch wurde für das Thema ein neues Bewusstsein geschaffen. 

Radon ist ein natürliches, überall vorkommendes, radioaktives Edelgas, farb-, geruch- und geschmacklos. Es entsteht durch den Zerfall des radioaktiven Schwermetalls Uran. Radon kann aus Böden und Gesteinen entweichen und sich über die Luft oder gelöst in Wasser ausbreiten. Dabei kann es auch in die Raumluft von Gebäuden gelangen. 

Im Freien beträgt der Radonwert unter 50 Bq/m3. In Räumen ist ein Mittelwert 120 Bq/m3. Beim Lüften fällt der Wert. 

Der amtliche Referenzwert ist in D-CH 300 Bq/m3, in A 400 Bq/m3.

Radon-Messung

Die Behörden führen Radonkarten. In einigen Gebieten gibt es ein erhöhtes Radonvorkommen. Eine Radonmessung empfiehlt sich prioritär, wenn ein Wohnraum durch Hanglage erdberührt oder im Untergeschoss liegt, das Gebäude einen Keller mit Naturboden hat, das Gebäude vor 1980 errichtet und die Gebäudehülle abgedichtet wurde.

Bei Unternehmen im Raum D-A-CH kann ein Mess-Set inklusive Messanleitung oder eine Messung von einer Fachperson vor Ort bestellt werden. Die Radonkonzentration in Gebäuden kann stark schwanken. Sinnvoll ist eine Messung über einen Zeitraum von einem halben Jahr. 

Baubiologie als Wegbereiter

Das Holzschutzmittel Pentachlorphenol ist inzwischen verboten. Die Gesetzgebung hat sich nach vierzig Jahren diesbezüglich mit der Baubiologie geeinigt. Ebenfalls angeregt durch die Überzeugungsarbeit der Baubiologie müssen Architekten in der Schweiz mittlerweile einen Schadstoffcheck abgeben. Als Bedingung für eine Baubewilligung.

Durch neue Verordnungen werden viele Themen jedoch verlagert und die Planer wissen letztlich nicht, mit welchen Massnahmen das Übel beseitigt werden kann. Wie beispielsweise beim Formaldehyd, das teilweise in der Grobspanplatte OSB/3 vorhanden ist. Anstelle der OSB/3 kann die OSB/4 Platte verbaut werden, die beinhaltet stattdessen PUR-Kleber, der zwar kein Formaldehyd emittiert, dafür aber Isocyanate, bei denen die gesundheitlichen Auswirkungen noch wenig bekannt sind. Die Fragestellung wird somit verlagert. 

Kaiser: «Wir sprechen hier nicht von abgehobenen Nischentheorien, sondern von grundlegenden Anforderungen an gesunde Häuser.» Es gibt ein zunehmendes Bedürfnis nach wertbeständigen, gesunden und nachhaltigen Gebäuden.

Der Standard der baubiologischen Messtechnik wurde in Deutschland entwickelt baubiologie.de und inzwischen von den meisten mitteleuropäischen Nachbarländern adaptiert. Die Richtwerte zeigen eine Spreizung von unauffälligen Werten über gering auffälligen –, stark auffälligen – bis zu extrem auffälligen Werten. Dabei sind diese nicht als absolute Grenzwerte zu verstehen, sondern als Orientierung, ab wann mit gesundheitlichen Problemen zu rechnen ist. 

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Traditionelle Innenraumgestaltung in ländlichem Wohnhaus in den französischen Alpen: Reine Kalkputze und -farben sowie Naturhölzer.
Foto: Christian Kaiser

Zurück zur Natur

In einem alten Haus, einzig mit Mineralfarben gestrichen, ohne verbaute Kunststoffe, welche die Urform des Lebens und des Wohnens beeinflussen, nehmen wir ein ausgeglichenes Raumklima wahr. Was macht das mit uns, wie wirkt das auf uns?

Christian Kaiser: «Ich durfte mal bei Carlo Vagnières  eine Blindbesichtigung eines Bauwerkes machen. Es war völlig ungewöhnlich, die Augen ausschalten zu müssen und den Raum nur über den Geruch und über das Licht, das man immer noch sieht, wahrzunehmen. Das haben wir verlernt, diese sinnlichen Wahrnehmungen mit einzubeziehen. Wir denken oft in Fotos und wie kann ich das Haus in Fotos präsentieren. Wenn ich in ein Haus komme und es riecht gut, ist das sehr angenehm.

In einem hundertjährigen Haus waren die Feuchteverhältnisse immer gleich. Irgendwann hat der Bauherr beschlossen, den Maler zu holen. Er hat das Bad mit Dispersionsfarbe neu gemalt. Vorher war da Kalkfarbe. Nach zwei Wochen hat es bereits geschimmelt. Das Haus wurde wärmegedämmt. An der Ecke war eine Wärmebrücke, da ist die Wärme weggeflossen. Es wird kalt und kondensiert. Erst durch die Dispersionsfarbe ist der Schimmel gekommen. Sie haben die Dispersion runtergekratzt und wieder mit Kalk aufgebaut: Der Schimmel war weg.»

Die folienartige Beschichtung bei synthetischen Farben ist ein Problem des Gebäudeunterhalts. Wenn Feuchtigkeit darunter gelangt, platzt die Farbe weg. Kaiser: «Das sind gute Argumente für Naturfarben, die unterhaltsärmer sind. Viele interessieren sich gar nicht so sehr dafür, dass diese Farben gesünder oder ökologischer sind, sondern dass für 20 Jahre keine Unterhaltsarbeiten anfallen.»

Praxis-Tipp von Christian Kaiser

«Bei der Wahl von Anstrichen und Farben lohnt sich der Verzicht auf petrochemische Inhaltsstoffe. Naturfarben weisen in der Regel geringere Emissionen auf, haben harmonischere Farbpigmentierungen und altern sichtbar ansehnlicher als synthetische Vergleichsprodukte. Die verfügbaren Produkte reichen von rein mineralischen Anstrichen über Kasein- oder Kreidefarben bis hin zu Naturöllasuren und Ölfarben.»

Christian Kaiser
Fachvereinigung Gesundes Wohnen Schweiz FaGeWo, CH-8000 Zürich
praesidium@fagewo.ch
fagewo.ch
Dipl.-Ing. Architekt SIA, Baubiologe IBN
Lehraufträge HTWG Konstanz, FH Burgdorf, Bildungszentrum Baubiologie
Autor von Ökologische Altbausanierung, VDE Verlag, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2020

Gesamte Ausgabe RR 1/2022: Geschwister Hom.

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