Perlen aus dem Archiv

Die Heilungswunder Christi
Von Anfang an hatte ich das Gefühl, eine Untersuchung der Heilungswunder Christi, im Lichte unseres neuen Wissens, könnte höchst lehrreich und lohnend sein und uns eine Vorstellung vom Modus Operandi¹ verschaffen. Die Heilungswunder sind ein hervorragendes Beispiel für den Gebrauch der Vis Medicatrix Naturae² durch einen meisterhaften Heiler.
Ich beschloss deshalb, die Wunder zu studieren und herauszufinden, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen unseren neuen Erkenntnissen und dem, was damals geschehen sein soll.
In den letzten tausend Jahren wurde über dieses Thema und verwandte Gebiete wahrscheinlich mehr gesprochen als über fast alles andere, und es scheint, dass alles, was man sagen kann, bereits zum Überdruss gesagt wurde. Wie kann ich nun hoffen, zu diesem Wust von Übertreibungen, Bekräftigungen. Bigotterien und Kontroversen noch etwas beizutragen? Überraschenderweise gibt es eine ganze Menge zu sagen. Ich fand heraus, dass die Behandlung der Wunder bisher auf vier Ebenen geschehen ist.
1. Die traditionelle theologische Ebene. Nach dieser Sichtweise sind die Wunder eine Manifestation übernatürlicher Kräfte, die der Göttlichkeit Christi zuzuschreiben sind. Deshalb seien sie einzigartig, und es sei ein Sakrileg, sie zu hinterfragen oder zu erforschen. Die Wunder sind die wichtigste Stütze der Behauptung des Christentums, eine übernatürliche Religion zu sein. Eine unorthodoxe Untergruppe bilden die gläubigen Spiritualisten.
2. Die traditionellen Rationalisten. Die Wunder werden als zufällig aufgetretene natürliche Ereignisse, als Märchen oder als rein mythische Verkörperungen der christlichen Doktrin gedeutet. Hume³ zum Beispiel meinte, dass keine der bisher zugänglichen Beweise ein Wunder glaubhaft machen konnten.
Paulus⁴ weist die Wunder als Übertreibungen und Fehlinterpretationen ganz gewöhnlicher Ereignisse zurück.
Harnack⁵ verbreitet seine unerschütterliche Überzeugung, dass alles, was in Raum und Zeit geschieht, den universellen Gesetzen der Bewegung unterworfen sei, und dass es deshalb Wunder in diesem Sinne, also als Unterbrechung der Kontinuität der Natur, nicht geben kann.
Huxley⁶ war vorsichtiger, er erkannte, dass wir die Kontinuität der Natur nicht gut genug kennen, um behaupten zu können, dass dieses oder jenes Ereignis notwendigerweise eine Unterbrechung sei.
Eine Untergruppe der Rationalisten geht davon aus, dass die Wunder übertriebene Darstellungen ganz gewöhnlicher ärztlicher Behandlungen gewesen seien; Christus sei eine Art Medizinmann gewesen, der das medizinische Wissen der Essener besessen und ihre Medikamente benutzt habe. Venturini⁷ meint, seine Jünger hätten tragbare Medizinkästen gehabt.
3. Heilung durch den Glauben. Hier wird angenommen, dass alle kranken Menschen funktionelle Störungen hatten, wie sie bei Neurotikern und Hysterikern auftreten, und dass sie deshalb für Heilungen durch machtvolle Suggestion offen waren, wie sie etwa in den Worten «Dein Glaube hat dich geheilt.» zum Ausdruck kommt. Das Ergebnis war dann notwendigerweise nicht dauerhaft.
4. Der psychologische Ansatz wird in bewundernswerter Weise von Stanley Hall im Kapitel über Wunder in seinem Buch Jesus the Christ in the Light of Psychology vertreten. Hall ist bereit, die Wunder zu akzeptieren, vorausgesetzt, sie werden als Symbole für höhere Wahrheiten betrachtet. Sie wörtlich zu nehmen hält er für eine unreife religiöse Haltung, die vielleicht notwendig ist, die aber überwunden werden muss. Denn seiner Ansicht nach enthüllt zwar die analytische Psychologie die innere Bedeutung und den höheren Wert der Wunder, doch zugleich verweigert sie ihnen jede objektive Realität.
Maurice Nicoll⁹ nimmt in seinem Buch The New Man einen ähnlichen Standpunkt ein, denn auch für ihn sind die Wunder keine objektiven Heilungen, sondern symbolische Dramen der Neuen Wahrheit und der rechten Lebensart. Mit anderen Worten werden die Wunder von der modernen Psychologie schlichtweg sublimiert. Und doch bin ich sicher, dass Stanley Hall⁸ aufrichtig glaubte, die Psychologie habe das letzte Wort gesprochen.
Doch wie wir wissen, trifft dies nicht zu. Selbst mit unserem heutigen Wissen wage ich zu behaupten, dass die Wunder eine objektive und nicht nur symbolische Realität haben. Wir leben in einer Zeit, in der Dinge, die unseren Vorfahren und unmittelbaren Vorgängern noch unmöglich schienen, möglich geworden sind. Wir gehen mit neuen Konzepten, neuen Formen und neuen Kräften um, wie wir alle zunehmend bemerken.
Es sollte noch eine fünfte Haltung geben, die wirklich wissenschaftliche Haltung, die darauf aus ist, Tatsachen zu sichern und wenn möglich den Modus Operandi zu erkennen.
Ein schon 1957 veröffentlichtes Buch ist ein hervorragendes Beispiel für diesen wissenschaftlichen Ansatz. Es heisst Modern Miraculous Cures – a documented account of miracles and medicine in the twentieth century. Die Autoren sind Dr. François Leuret, der viele Jahre lang Präsident des Medical Bureau for Scientific Studies in Lourdes war, und Dr. Henry Bon, der Autor zahlreicher medizinischer Werke.
Die detaillierten klinischen Daten sind nicht nur sehr beeindruckend, sondern auch überzeugend. Papst Benedikt XIV. legte fest, dass ein Wunder nur als Wunder betrachtet werden durfte, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt waren:
1. Die Krankheit muss schwer sein und unmöglich oder zumindest schwierig zu heilen.
2. Die Krankheit darf nicht in einem Stadium sein, in dem wahrscheinlich ist, dass sie nach kurzer Zeit von selbst verschwinden kann.
3. Es darf keine medizinische Behandlung stattfinden, oder wenn, dann muss sie eindeutig unwirksam sein.
4. Die Heilung muss plötzlich und spontan erfolgen.
5. Die Heilung muss vollständig sein.
6. Schliesslich darf es nach der Heilung keinen Rückfall in dieselbe Krankheit geben.
Wir wollen nun über die Wunder sprechen und sehen, was wir im Lichte unseres neuen Wissens aus ihnen machen können.
Ich schlage eine neue Definition für Wunder vor: Ein Wunder bei einer akuten Krankheit ist das Wirken des normalen Prozesses der Wiederherstellung der Normalität, nur beschleunigt, bis das Zeitelement völlig ausgeschaltet ist. Bei chronischen oder unheilbaren Krankheiten ist es der Wiederbeginn des normalen Prozesses der Regeneration, bis der Normalzustand hergestellt ist. Dies schliesst bislang unbekannte biologische Gesetze ein.
Aus dieser Definition folgt, dass es zwischen gewöhnlichen und Wunderheilungen, je nach Beschleunigung der Zeit, eine Vielzahl von Abstufungen gibt. Um es anders auszudrücken, die Heilungsprozesse werden so beschleunigt, dass sie statt nacheinander aufzutreten, spontan scheinen.
Ohne eindeutige diagnostische Daten können wir nicht behaupten, die Wunder seien wirklich Wunder gewesen. Die Schule der Heilung durch den Glauben könnte damit recht haben, dass viele Kranke nur funktionelle und keine organischen Krankheiten hatten; allerdings sind funktionelle Störungen bei primitiven Völkern nicht verbreitet. Doch dies soll uns nicht stören, denn die sorgfältigen Aufzeichnungen von Lourdes und anderen Orten zeigen, dass tatsächlich echte Wunder geschehen.
Bevor wir die Wunder im einzelnen untersuchen, möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine allgemein übersehene Tatsache lenken. Das Evangelium berichtet über zahlreiche Heilungen Christi. Diese Arbeit wurde keineswegs nur bei besonderen oder seltenen Gelegenheiten getan, wie Matthäus 4, 23 und 24 deutlich zeigen: «Und Jesus ging umher im ganzen galiläischen Lande, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheit und alle Gebrechen im Volk. Und die Kunde von ihm erscholl durch ganz Syrienland. Und sie brachten zu ihm alle Kranken, mit mancherlei Leiden und Plagen behaftet, die Besessenen, die Mondsüchtigen und die Gichtbrüchigen; und er machte sie gesund.»
Der grösste Teil der Heilungen geschah auf dem ersten Teil seines Weges. Nachdem Christus Galiläa verlassen hatte und nach Süden gegangen war, gab es kaum noch Heilungen oder zumindest keine Berichte darüber.
Zunächst stellt sich die Frage: Gab es einen Zusammenhang zwischen der Manifestation der Heilkraft und der Anwesenheit grosser Menschenmengen, durch welche die ohnehin schon überragende Kraft Christi noch einmal potenziert wurde, bis er buchstäblich jeden heilen konnte? Offenbar gab es diese Verbindung.
Eine religiöse Gemeinschaft, die Heilungen in ihre gewöhnlichen Gottesdienste aufgenommen hat, sind die Elim Four Square Gospelers. Sie heizen die emotionale Spannung der Versammlung stark an, bevor die Heilungen beginnen. Man könnte nun sagen, dass all dies auf Massensuggestion beruht, was bis zu einem gewissen Punkt natürlich stimmt, aber es ist mehr daran, und dies zeigt sich meiner Meinung nach klar in der kooperativen Heiltechnik: je mehr Menschen am Entspannungskreis teilnehmen, desto leichter und rascher tritt die Heilung ein; mit anderen Worten, es gibt dann mehr Mana¹⁰. Ausserdem hielt ich es für notwendig, folgender Beobachtung nachzugehen: Meine Frau nahm einmal bei einem Medium und Heiler physische und psychische Messungen vor, bevor er auf einem grossen Treffen im Freien sprach, und ein zweites Mal nach seinem Vortrag. Die physische Messung war um die Hälfte gefallen, aber auf der Bovis-Skala waren die psychischen Werte gestiegen.
Spielt die Tageszeit eine Rolle? Die folgende Passage findet sich in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas, es ist ein bedeutungsvoller Bericht: «Und da die Sonne untergegangen war, brachten alle, die Kranke hatten mit mancherlei Leiden, sie zu ihm. Und er legte auf einen jeglichen die Hände und machte sie gesund.»
Ich bin der Meinung, dass die Kraft bei Sonnenuntergang am stärksten ist. Wenn ausserdem eine grosse Menschenmenge anwesend ist, wird die Heilkraft sehr mächtig. Den Grund dafür konnte Reichenbach¹¹ beobachten. Nach ihm zeigt die odylische Aktivität des menschlichen Körpers eine periodische Fluktuation, die zwischen 18.00 Uhr und 20.00 Uhr die höchsten Werte erreicht. Morgens zwischen 4.00 und 5.00 Uhr ist sie am schwächsten. Er fand heraus, dass Nahrungsaufnahme, Tageslicht und der aktive Wachzustand ebenfalls diese Kraft verstärkten. Meines Wissens hat noch niemand diese Beobachtungen weiter verfolgt.
Wir neigen zum Glauben, die Heilkraft Christi sei unbegrenzt und bedingungslos vorhanden gewesen, aber es gibt auch andere Hinweise: «Und er ging in seine Vaterstadt und lehrte in der Synagoge dass sie sich entsetzten und sprachen: Ist er nicht des Zimmermanns Sohn? Heisst nicht seine Mutter Maria? Und sie nahmen Ärgernis an ihm. Jesus aber sprach zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande und im eigenen Hause. Und er tat daselbst nicht viel Zeichen um ihres Unglaubens willen.»
Welch ein Kontrast! Dieses Phänomen ist in der psychischen Forschung bekannt. Feindselige Skepsis mindert die Manifestation der psychischen Kraft oder macht sie völlig unmöglich. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Nachbarn Christi ihn für einen Aufschneider hielten, und genau deshalb konnte er «nicht viel Zeichen» tun und sein Ruhm war nur Schlaumschlägerei.
Ich glaube, dies ist der richtige Augenblick, kurz über die Frage des Glaubens zu sprechen. Die Frage spielt immer wieder in Heilungen hinein. Normalerweise wird behauptet, dass man glauben muss, bevor eine Heilung möglich ist. Ich will nicht sagen, dass Glaube nicht hilft, aber ich bin sicher, dass er keine unabdingbare Voraussetzung für eine Heilung ist. Der Mangel an bewusstem Glauben macht für die Heilung keinen Unterschied. Solange keine offen feindselige Haltung besteht, wird die Kraft wirken, ob der Betreffende nun glaubt oder nicht. Ich bin mir darüber im klaren, dass trotz Aussagen wie «Der Glaube hat dich heil gemacht.» die Heilung keine Glaubenstat ist; ganz im Gegenteil. Manche Kommentatoren sagen sogar, der Glaube sei in vielen Fällen die Folge des Wunders und nicht eine Ursache gewesen.
Nach diesem Vorspann können wir nun zu den Wundern selbst kommen. Ich habe sie der Übersicht halber in 10 Gruppen eingeteilt.
1. Blosse Berührung
Dafür gibt es sechs Beispiele; fünf sind Wunder, eines nicht:
a) Die beiden Blinden: «Da rührte er ihre Augen an und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben. Und ihre Augen wurden geöffnet.»
b) Zwei Blinde vor Jericho: «Und er rührte ihre Augen an, und alsbald wurden sie wieder sehend.»
c) Knecht des Hohepriesters: «Einer von ihnen aber schlug den Knecht des Hohepriesters und trennte ihm ein Ohr ab. Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.»
d) Der Wassersüchtige: «Und er fasste ihn an und heilte ihn und liess ihn gehen.»
e) Frau mit einem Geist der Krankheit: «Und siehe, eine Frau war da, die hatte einen Geist der Krankheit achtzehn Jahre, und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Da aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Weib, sei los von deiner Krankheit! Und er legte die Hände auf sie, und alsbald richtete sie sich auf.»
f) Kinder, wahrscheinlich völlig gesund und normal: «Da brachten sie ihm kleine Kinder, dass er die Hände auf sie lege und sie segne, und er legte ihnen die Hände auf.»
Hier sind wir auf vertrautem Boden, wir haben es mit heilenden Händen zu tun. Zu allen Zeiten war bekannt, dass man durch Handauflegen heilen konnte und tatsächlich hat die Kirche es als Sakrament der Salbung in ihre Rituale aufgenommen. Dabei geht es um Einreiben mit Öl, es ist eine höchst signifikante Kombination, denn wir wissen, dass verschiedene Substanzen mit der Heilkraft aufgeladen werden können, etwa Baumwolle, Seide, Holz und vor allem Öl. Dies ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass Öl schon immer als das beste Symbol und Vehikel für den heiligen, erleuchtenden Geist betrachtet wurde. Die Formel für die Vorbereitung und Weihung des Öls war diese: Das Gefäss mit dem Öl wird in beide Hände genommen, und das folgende Gebet wird gesprochen: «0 Herr, wir bitten dich, schicke deinen Heiligen Geist vom Himmel in dieses Gefäss mit Öl, das du aus dem grünen Holz gemacht hast, auf dass wir unseren Geist und unsere Seele erfrischen; und möge dein heiliger Segen bei allen sein, die mit ihm gesalbt werden, die es schmecken und berühren. Möge es ihren Geist und Körper hüten, ihre Seele und ihr Gemüt, mögen ihnen alle Schmerzen und alle Krankheiten genommen werden, alle Gebrechen von Seele und Leib.» Dazu Markus VI, 13: «Und sie, die Jünger, trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.»
Aber im Laufe der Zeit sind zwei eigenartige Dinge geschehen. Der Ritus wird jetzt nur noch bei Sterbenden benutzt, in Form der Letzten Ölung. Man glaubt, die Kraft sei nur spiritueller Natur, und Öl und Handauflegen hätten nur symbolische Bedeutung. Deshalb glaubt man auch, nur geweihte Priester dürften diesen Ritus ausführen.
Dieser beschränkte Glaube hat Bestand, auch wenn in den letzten Jahren das Interesse am spirituellen Heilen erstarkt ist. Allerdings sind viele Organisationen, die es anwenden, nicht ganz sicher, was sie mit spirituellem Heilen meinen. So glauben zum Beispiel die spiritualistischen Geistheiler, die Heilung werde von Geistern vollzogen. Die Christlichen Wissenschaftler glauben, die Ursache sei der völlige, absolute Glaube an die Heilungskraft Gottes.
Aber es gibt einige andere, die sich bewusst sind, dass das Handauflegen kein blosser symbolischer Akt ist, sondern dass tatsächlich eine Kraft vom Heiler auf den Patienten übergeht. Diese Tatsache mag den Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Krankenschwester erklären und warum manche Masseure viel besser sind als andere; dasselbe gilt für Osteopathen. Ausserdem ist die Beobachtung wichtig, dass ein Heiler ein Stück Fleisch oder Fisch mit den Händen mumifizieren kann, bis es nicht mehr verwest und sich in diesem Zustand hält.
2. Berührung mit physischen Hilfsmitteln
Diese Gruppe ist sehr interessant, denn in Begriffen des Huna¹² könnten die Hilfsmittel als Methode zur Unterweisung des niederen Selbst gedeutet werden.
a) Der Blinde: «Christus nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus der Stadt und tat Speichel auf seine Augen und legte die Hände auf ihn und fragte ihn: Siehest du etwas? Und der Mann sprach: Ich sehe die Menschen umhergehen, als sähe ich Bäume. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und ward wieder zurechtgebracht und konnte alles scharf sehen.» Die interessanten Punkte sind hier der Gebrauch von Speichel, also einer der drei Körperflüssigkeiten, die alle Kräfte des Körpers enthalten und die Tatsache, dass die Heilung nicht spontan geschah. Es gibt eindeutig ein Zeitelement.
b) Der blind geborene Mann: «Christus spie auf die Erde und machte einen Brei mit seinem Speichel und salbte mit dem Brei die Augen des Mannes und sprach: Geh hin zum Teich Siloah und wasche dich! Und der Mann wusch sich und kam sehend zurück.»
c) Der Taubstumme: «Und er legte ihm die Finger in die Ohren und berührte mit Speichel seine Zunge und sah auf gen Himmel, seufzte und sprach: Tu dich auf! Und alsbald taten sich seine Ohren auf, und das Band seiner Zunge ward los, und er redete recht.» Möglicherweise steht das Seufzen hier für ein tiefes Atmen, durch welches Mana akkumuliert werden soll.
3. Berührung und das Wort
a) Der Aussätzige: «Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. Und Jesus streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Sei gereinigt! Und alsbald ward er von seinem Aussatz rein.»
b) Petrus’ Schwiegermutter: «Und er neigte sich zu ihr und gebot dem Fieber, und es verliess sie.»
4. Das Wort
Hier scheint die Heilung einfach durch das Wort ohne physischen Kontakt oder Handauflegen zu geschehen.
a) Der Gichtbrüchige. Diese Heilung wird in Lukas V, 18-20 beschrieben, und es lohnt sich, sie zur Gänze nachzulesen, denn sie wirft eine wichtige Frage auf: Welcher Natur ist diese Heilung? Ich möchte hinzufügen, dass sich diese Frage auch bei modernen Wundern erhebt, wie sie in Dr. François Leurets Buch Modern Miraculous Cures aufgezeichnet sind.
Aus mehreren Passagen wird deutlich, dass Christus sich dessen wohl bewusst war. Er rechnete die Heilungen der Kraft Gottes zu, und dessen Macht ist nicht nur körperlich, sondern wirkt auf allen Ebenen. Deshalb ist es zutreffender zu sagen: «Mensch, deine Sünden sind dir vergeben.» Es soll heissen, deine Fixierungen und Komplexe sind gelöst, als den Befehl auszusprechen: «Steh auf, nimm dein Bett und wandle.»
Es ist völlig klar, dass wir es bei dieser Kraft mit etwas zu tun haben, das den ganzen Menschen heilt, mit einer Heilung der gesamten Persönlichkeit. Durch eine Heilung auf einer fundamentalen Ebene wird auch der Körper gesund. In dieser Hinsicht haben religiöse Menschen recht, wenn sie um eine spirituelle Heilung bitten; sie haben recht mit dem, was sie sehen und unrecht mit dem, was sie abstreiten. Solch fundamentale Heilungen waren allen grossen Ärzten bekannt, unter ihnen auch Paracelsus.
Die Krankheitsmuster waren ihm vertraut, und ebenso die okkulte Entwicklung einer Sünde, also einer Schwächung des Ich und der weitere Verlauf, bis sich die Schwächung physisch manifestiert. Dies mutet uns weniger fremd an als unseren Vorgängern, denn heute wird durch die psychosomatische Medizin deutlich, dass gewisse Erkrankungen mit gewissen charakterlichen Zügen Zusammenhängen.
Ich will hier nicht tiefer in diese wichtigen Zusammenhänge eindringen; nur eine Bemerkung sei mir noch gestattet: Nach Paracelsus kann eine fundamentale Heilung nicht stattfinden, solange nicht die richtige Zeit gekommen ist. «Gott hat die Arzneien geschaffen, um Krankheiten zu überwinden, und er hat Blutegel zum gleichen Zweck gemacht, doch hält er beide vom Kranken zurück, bis die richtige Zeit gekommen ist; erst dann nehmen Natur und Kunst ihren Gang; und ganz gewiss nicht, bevor der richtige Augenblick gekommen ist.»
Im Buch Occult Cures of Disease schreibt E. Wolfram dazu: «Wann und wie kann Krankheit in Gesundheit übergehen? Die Antwort ist: Nur wenn das Ich dazu bereit ist; und solange es nicht bereit ist, besteht die Krankheit fort, bis der rechte Augenblick gekommen ist.»
Das Fehlen dieser Bereitschaft ist wahrscheinlich der wichtigste Grund dafür, dass manche Patienten sich trotz aller Behandlungen nie erholen.
b) Der Mann mit der verdorrten Hand: «Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus, und sie ward ihm wieder gesund gleich wie die andere.»
c) Der Mann mit achtunddreissigjähriger Krankheit: »Willst du gesund werden? Stehe auf, nimm dein Bett und gehe hin. Und alsbald ward der Mensch gesund.» Und später: «Siehe, du bist gesund geworden. Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.»
5. Die Austreibung unreiner Geister durch das Wort
Dies liegt etwas ausserhalb unserer modernen Erfahrungswelt, denn es gilt dank der modernen Psychologie nicht mehr als wissenschaftlich, an böse Geister oder Besessenheit zu glauben. Angesichts mancher schockierender Morde scheint es mir fraglich.
Das Kapitel XVI im Buch The Secret Science behind Miracles von Max Freedom Long verdient in diesem Zusammenhang eine gründliche Untersuchung. Die Kahuna-Methode der Schockbehandlung durch grosse Mengen von Mana. Sie wird unter Anwendung von Suggestion auf den besessenen oder geistesgestörten Menschen übertragen. Das könnte bei der modernen Therapeutik sehr nützlich sein, vorausgesetzt, ein ausreichend mächtiger Heiler ist beteiligt.
Für diese Wunder gibt es fünf Beispiele, die allgemein mit Epilepsie erklärt werden: Der Mann mit der Legion von Geistern. Der besessene Knabe. Der Mann mit dem unreinen Geist. Der taube Besessene. Der blinde und taube Besessene.
Von den letzten beiden wissen wir, dass alle Geister ausgetrieben wurden und die Leidenden gesundeten. Bei den anderen ist anzumerken, dass die bösen Geister Christus sofort als den Sohn Gottes erkannten, sie erkannten sein übersinnliches Wissen und seine Autorität. Christi Reaktion darauf war, sie zurückzuweisen und ihnen zu befehlen, aus dem Kranken zu fahren. Im ersten Fall lautete der Befehl: «Fahrt aus diesem Mann, ihr unreinen Geister! Mein Name ist Legion; denn wir sind viele. Und die Geister fuhren heraus und in die Säue.» Im zweiten Fall: «Geist, ich gebiete dir, dass du aus ihm fahrest!» Und im dritten Fall: «Verstumme und fahre aus ihm! Und der unreine Geist riss an ihm und schrie mit lauter Stimme und fuhr aus ihm heraus.»
Im Falle des besessenen Knaben ist ein Kommentar angebracht. Man erinnert sich, dass die Jünger die Austreibung vergeblich versucht hatten. Nachdem Christus sie vollzogen hatte, fragten sie ihn, warum sie gescheitert seien, und er erklärte: «Weil ihr nicht glaubt. Hättet ihr den Glauben wie ein Senfkorn, dann wäre euch nichts unmöglich.» Es scheint mir nun, dass der Heiler uneingeschränkt an seine Kraft glauben muss. Zweifelt er, kann die Kraft nicht wirken. Vielleicht wird dies ein wenig deutlicher durch Paracelsus‘ Ausspruch: «Eine klare Vision vermag alles.» Dies bedeutet, dass alles möglich ist, wenn nur die Phantasie ein stabiles, klares und scharfes Bild des Gewünschten aufbaut, denn dann wird sie schöpferisch. Wenn also in der Vorstellung ein kranker Mensch gesund und heil ist, dann wird er tatsächlich gesund und heil.
6. Berühren seiner Kleider
Hier kommen wir zu den Wundern, die radiästhetisch besonders interessant sind, denn wir wissen, dass Stoff mit der Kraft aufgeladen oder mit ihr getränkt werden kann und die Kraft hält sich anscheinend ungehindert. Die Heilerin Mrs. Kingsley Tarpey benutzte aufgeladene Bandagen aus Wolle und Seide, die sie ihren Patienten gab oder schickte, damit diese auch unabhängig von ihrer körperlicher Anwesenheit Behandlungen bekommen konnten. Wenn das gewöhnlichen Heilern möglich ist, müssen die Kleider eines so mächtigen Heilers wie Christus mit seiner Kraft gesättigt sein. Dazu die folgenden Passagen. «Und die Menge suchte ihn zu berühren, denn die Kraft ging von ihm aus. Es strömte eine Kraft von ihm aus, und er heilte sie alle.
Und wenn er ein Dorf oder eine Stadt oder ein Land betrat, legten sie die Kranken auf die Strassen und flehten ihn an, dass er sie berühre und sei es nur mit dem Saum seines Gewandes; und alle, die seine Kleider berührten, wurden geheilt.»
Ein Wunder dieser Art ist detailliert in Markus V, 25-34 beschrieben: «Die blutflüssige Frau.» Dieser Bericht klingt wahr, ich habe selbst einige derartige kleinere Wunder erlebt.
7. Durch Anleitung
a) Die zehn Aussätzigen: «Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Geht und zeigt euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Nur einer kam zurück und dankte Jesus.»
b) Der Blinde: «Geh hin zum Teich Siloah und wasche dich!»
8. Heilung aus der Ferne
a) Der gichtbrüchige Knecht des Hauptmanns, der Glaube seines Herrn.
b) Die Frau aus Syrophönizien, deren Tochter einen unsauberen Geist hatte.
c) Der todkranke Sohn des Edelmanns.
In allen Fällen war er dem Kranken nicht nahe, sondern sagte nur, dass es gut sei. Diese Wunder sind durch die Huna-Theorie der Telementation erklärlich, eine Heilmethode, die auch von modernen Heilern angewendet wird.
Im ersten Fall hiess es: «Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und der Knecht ward gesund zu derselben Stunde.»
Im zweiten Fall: «0 Weib, dein Glaube ist gross. Dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.»
Im dritten Fall: «Gehe hin, dein Sohn lebt.» Und später wird die Frage, wann die Heilung eintrat, beantwortet: «Gestern zur siebten Stunde verliess ihn das Fieber, und da merkte der Vater, dass es um die Stunde war, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt.»
9. Die Erweckung von den Toten
a) Jairus’ Tochter, Lukas VIII, 41-56, Matthäus IX, 18-26.
b) Die Witwe von Nains Sohn, Lukas VII, 12-16.
c) Lazarus, Johannes XI, 1-46.
In älteren Ausgaben dieses Buches schrieb ich, dass diese Wunder mit unserem heutigen Wissen schwer zu verstehen wären; doch später, als ich in Kontakt mit der spirituellen Wissenschaft Rudolf Steiners kam, konnte diese Schwierigkeit überwunden werden, denn es ist offensichtlich, dass wir es hier mit den Faktoren des Karma zu tun haben: mit Initiation und Reinkarnation. Das Wissen um diese Zusammenhänge wirft neues Licht auf die bedeutenden Wunder Christi, des Herrn des Karma.
Bisher konnten wir nach dem Huna sagen, solange der Aka-Faden intakt bleibt, der den Ätherkörper mit dem physischen Körper verbindet, kann sich der ätherische Körper, der Astralkörper und der Ich-Körper vom physischen Körper lösen, so dass dieser anscheinend kein Leben mehr hat. Doch die feinstofflichen Körper können jederzeit zurückkehren. Wenn allerdings der Aka-Faden gerissen ist, dann braucht es eine Tat des höheren Selbst, um ihn wiederherzustellen, mit anderen Worten ein Wunder. Max Freedom Long gibt in Kapitel XII von The Secret Science das Beispiel eines ertrunkenen Jungen, der nach acht Stunden Tod wieder ins Leben zurückgeholt wurde.
Wir wollen zunächst das Wunder der Erweckung von Jairus’ Tochter betrachten. Es wurde vermutet, dass wir es hier nur mit einem Trance-Zustand zu tun haben, der nach Stanley Hill zu Beginn der Pubertät gar nicht ungewöhnlich sei: «Die moderne Literatur kennt zahlreiche Beispiele für todesähnliche Trance-Zustände in dieser Phase, und Christus brauchte nichts weiter zu tun, als sie herauszuholen.» Aber nach dem Evangelium glaubten dies die Leute in ihrer Nähe nicht, denn als Christus sagte: «Das Mädchen ist nicht tot, sie schläft.», lachten sie ihn aus, denn sie wussten, dass sie tot war.
Wenn der Leser Interesse hat, alle hier beteiligten okkulten Faktoren zu untersuchen, möchte ich Emil Brocks Buch The Three Years empfehlen. Dort wird auch der Fall der blutflüssigen Frau, die trotz Behandlung in zwölf Jahren nicht geheilt wurde, erläutert; sie wurde geheilt, indem sie den Saum von Christi Gewand berührte. Brock erklärt, dass ihr ungelöstes Karma einen engen Bezug zum zwölfjährigen Mädchen gehabt habe. Die physische und karmische Heilung der Frau ermöglichte das Heilungswunder bei dem Mädchen, das aus dem Initiationstod eines früheren Lebens erlöst wurde.
Ähnlich wird der Fall der Witwe von Nains Sohn meist als kataleptische Trance erklärt. Doch auch hier haben wir es wieder mit einem mystischen Tod zu tun, der mit einer Initiation in einem früheren Leben zusammenhängt und sich in der Pubertät im jetzigen Leben wiederholt. Christus erlöste ihn aus diesem Tod, da ihn angesichts dieser Wiederholung eines früheren karmischen Todes das Mitleid ergriff. Abermals war seine Technik recht einfach: Er kam und berührte die Bahre, aber anscheinend nicht den toten Jungen selbst, und als die Träger anhielten, war der priesterliche Initiationsbefehl zu hören: «Jüngling, ich sage dir, stehe auf!» Und der Junge erhob sich.
Lazarus ist das grösste und bemerkenswerteste Wunder in diesem Abschnitt über die Auferstehung von den Toten. Man sollte den Bericht im Johannes-Evangelium sorgfältig und gründlich lesen, denn jedes Wort ist wichtig und bedeutsam, Kapitel XI, 1-46.
Auch hier wirken wieder die Faktoren Karma, Initiation und Reinkarnation zusammen; einen ausführlichen spirituellen Kommentar und eine Erklärung des Wunders finden Sie in Christentum als mystische Tatsache von Rudolf Steiner, im Kapitel über das Johannes-Evangelium; auch in The Three Years von Emil Brock und in The Raising of Lazarus von John Cornish.
Christi Zögern bei der Erweckung seines Freundes, eine Verzögerung, die so unverständlich scheint, muss jetzt im Lichte der Initiation gesehen werden. Der dreitägige Initiationsschlaf durfte nicht gestört werden. Dennoch stöhnte und weinte Christus zweimal innerlich um ihn; doch als er zum Grab kam und als Priester wirkte, rief er mit lauter Stimme: «Lazarus, komm heraus!» und der Tote kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Händen und Füssen und sein Angesicht verhüllt mit einem Schweisstuch.
Jesus sprach zu ihnen: «Löset die Binden und lasset ihn gehen!» Dies zeigt deutlich, dass es sich um eine Wiedererweckung des physischen Körpers des Lazarus handelt.
10. Die Übergabe der Kraft an seine Jünger
«Und er gab seinen Jüngern Vollmacht über die unsauberen Geister, dass sie heilten alle Krankheit und alle Gebrechen. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt böse Geister aus.»
Ich hoffe, ich habe gezeigt, dass wir etwas über den Modus Operandi eines Wunders wissen, wenn auch nicht viel. Ich bin überzeugt, dass im Laufe der Zeit unser Verständnis dieser Dinge wachsen wird. Mit der Zunahme von wissenschaftlich exaktem Wissen über Aussersinnliches, werden wir auch mehr erkennen und mehr tun können. Es wird sich auch herausstellen, dass Kraft und Macht nicht nur Zeichen und Privilegien des Göttlichen sind, sondern dass sie auch zu unserer Menschlichkeit gehören, insoweit, als wir die Kinder Gottes sind. Christus sagte: «Er, der seinen Glauben in mich setzt, vollbringt alle Werke, die ich vollbringe; und noch grössere Werke, all dies wird er tun.»
Anmerkungen
1 Modus Operandi – lat.: Art des Handelns
2 Vis Medicatrix Naturae – lat.: heilende Kraft der Natur
3 David Hume, 1711–1776, Philosoph, Ökonom und Historiker
4 Paulus von Tarsus, 10 vor Christus–60, Missionar
5 Adolf von Harnack, 1851–1930, Kirchenhistoriker mit Schwerpunkt Dogmengeschichte
6 Aldous Huxley, 1894–1963, Schriftsteller, Universalgelehrter
7 Karl Heinrich Georg Venturini, 1768–1849, Theologe, Verfasser theologischer Werke
8 Granville Stanley Hall, 1846–1924, Psychologe
9 Maurice Nicoll, 1884–1953, Psychologe, Autor
10 Mana – transzendente Kraft. Spielt eine zentrale Rolle in den traditionellen kulturellen und religiösen Überzeugungen der Völker Ozeaniens
11 Baron Karl von Reichenbach, 1788–1869, Industrieller, Ingenieur, Chemiker, Naturforscher und Philosoph. Postulierte das Od als Lebenskraft.
12 Huna – neoschamanisches Handwerk
Auszug aus Aubrey Thomas Westlake Ganzheit und Gesundheit – Bausteine zu einem besseren Leben, Fischer Verlag, 1985. ISBN 3-85681-244-X
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